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DAS ENDE DER TRAGÖDIE |
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Fotos: Sabine Lippert WEITERE Oktober 2011 Mi. 26.Okt.11 20.00 Uhr Do. 27.Okt.11 20.00 Uhr Fr. 28.Okt.11 20.00 Uhr Sa. 29.Okt.11 20.00 Uhr November 2011 Mi. 02.Nov.11 20.00 Uhr Do. 03.Nov.11 20.00 Uhr Fr. 04.Nov.11 20.00 Uhr Sa. 05.Nov.11 20.00 Uhr Dezember 2011 Do. 01.Dez.11 20.00 Uhr Fr. 02.Dez.11 20.00 Uhr Gallus Theater |
Die Klassiker neu, im Gefieder aller Künste. MUSIKTHEATER 90 Minuten Die Inszenierung präsentiert mit Ödipus, Hamlet, Faust die drei zentralen Entwicklungsstadien in der Geschichte der Tragödie:
Im Dreierschritt von Ödipus über Hamlet bis Faust Das Ensemble 9. November zeigt im Frankfurter Gallus-Theater das Stück „Das Ende der Tragödie“. Inszeniert hat es Wilfried Fiebig. Im Zentrum steht Kunst am Körper. Von Michael Hierholzer Zwei Schauspielerinnen. Ein Ding. Dazu ein Saxophonspieler und eine Mezzosopranistin. Sie lassen in knapp 90 Minuten „Das Ende der Tragödie“ aufleuchten, geben ihm einen Sound‚ fassen es in Bilder. So heißt ein Abend des Ensembles 9. November im Frankfurter Gallus-Theater, und da der Regisseur Wilfried Fiebig ist, wäre es sehr verwunderlich, wenn er den Titel nicht in Anlehnung an die These seines Hausgotts Hegel vom Ende der Kunst gewählt hätte. So zeigt die Inszenierung die Verfallsgeschichte der Tragödie von der archaischen Wucht des antiken Mythos bis zum Konflikt des Bürgers mit den von ihm selbst geschaffenen Konventionen, von der Strenge eines als unausweichlich befundenen Schicksals bis zum teilweise komisch anmutenden Spiel mit den moralischen Vorstellungen eines offenbar noch nicht gänzlich aufgeklärten Zeitalters. Von Odipus bis Faust. Dazwischen geht es um Hamlet, der unschuldig schuldig wird und dessen Persönlichkeit in Kontrast- zur gewalttätigen frühneuzeitlichen Gesellschaft steht. Während sich die Tragödie in bürgerlicher Tändelei aufzulösen droht und ‚nur noch im Elend Gretchens momenthaft aufscheint, gewinnen andere Künste nach ihrem Ende anscheinend an Kraft. Ihrer von Hegel angenommenen Aufgabe, „die höchsten Bedürfnisse des Geistes“ zu befriedigen, ledig, entfalten sie eine ungeahnte Freiheit. Indem Fiebig das interesselose Wohlgefallen an den zweckfreien Formen und Farben befördert, wird er zum ästhetischen Kantianer. Juliane Fuhrmann und Simone Greiß, die ungemein präzise agieren und die Verse nicht eigentlich sprechen, sondern auf die Bühne stellen wie Gegenstände, sind in allen Haupt- und vielen Nebenrollen zu erleben. Die Texte von Sophokles, Shakespeare und Goethe wurden bis zum Äußersten verkürzt, wobei die geflügelten Worte Markierungen gleich hervorgehoben sind. Erzählt wird hier nicht, vielmehr Text ausgebreitet, und die Musik von Bastian Fiebig, der auch das Saxophon spielt, sorgt mit ihren Klangteppichelementen und cineastisch wirkenden Effekten zusätzlich für den Eindruck stetig wechselnder Konstellationen, Zustandsbeschreibungen, Tableaux. Gabriele Zimmermann singt, als wolle sie das Publikmn in höhere Sphären entführen, aber dies ist eine von zahlreichen ironischen Pointen dieses Programms, denn es geht äußerst irdisch zu in diesen Liedern. Etwa wenn Fausts Ausflug zu den Hexen mit ihren derb erotischen Anspielungen zitiert wird. Dieses Theater ist Performance, ‘Revue, Installation in einem. Wesentliches Moment ist jedoch die Kunst am Körper aus Fiebigs Werkstatt, jene widerständigen und stacheligen, scharfen und spitzen, bunten und aus unterschiedlichen Materialien wie Textilien, Plexiglas oder Metallstäben zusammengebauten, beweglichen und transparenten, starren und elastischen Objekte. Der Mensch schleppt einiges mit sich herum, das ihn beschwert, seinen aufrechten Gang behindert, ihn zu ungewollten Posen zwingt. Den Dingen kann er nicht entkommen. Sie drängen sich ihm auf, verlangen wahrgenommen, bedient, genutzt zu werden. Womöglich gelingt es ihm, sie sich in einer Weise anzueignen, dass sie zu einer zweiten Haut werden. Zur Kunst. Diesen Vorgang beschreibt Fiebig. Das „Ding“, als das er selbst auftritt, ist letztlich doch ein Mensch, der von der Last der gegenständlichen Wirklichkeit gezeichnet ist, sich dieser aber auch anverwandelt. Dass die Tücke des Objekts für eine spezifische Komik sorgt, liegt in der Natur der Sache. Ein kompakter Abend. Der mit Überraschungen, die alle Sinne ansprechen, nicht geizt. Michael Hierholzer (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29/10/2011) | |||
PREMIERE: |
„TRILOGIE DES WAHNSINNS |
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Fotos: Sabine Lippert Fotos: Jörg Langhorst PREMIERE: Do. 31. März 2011 20:00 Uhr WEITERE Fr. 1. April 2011 20:00 Uhr Sa. 2. April 2011 20:00 Uhr So. 3. April 2011 20:00 Uhr Mi. 6. April 2011 20:00 Uhr Do. 7. April 2011 20:00 Uhr Fr. 8. April 2011 20:00 Uhr Fr. 13. Mai 2011 20:00 Uhr Gallus Theater |
Film und Musiktheater nach Geschichten von Daniil Charms (Film) Kurzgeschichten aus der Sammlung ‚Gute Knochen‘ von Margaret Atwood ‚Bombenfrau‘ von Ivana Sajko, Verlag der Autoren FFM (Theater) TEIL I Film Gespielt vom „Ensemble 9.November“ (Regie Helen Körte) nach zwei Kurzgeschichten von Daniil Charms: „Schmutzige Persönlichkeit“ und „Schicksal der Frau eines Professors“. Charms war ein Vorreiter des Russischen Surrealismus/Dadaismus, ein Satiriker jüdischer Herkunft, dessen Texte erst Jahrzehnte nach seinem Tod bekannt wurden. Er gehört zu den in der Sowjetunion verfolgten Schriftstellern und starb 1941. Charms vergaß in seinen Erzählungen nie das Lachen und wir werden es auch in diesem Film nicht vergessen. Seine skurrilen, wahnwitzigen Plots zelebrieren den Unsinn als Lebensform, stets getragen von einer tragikomischen Komponente, die chaplinesk anmutet. Daher überrascht es auch nicht, wenn eine Professorengattin zum Fisch mutiert. TEIL II Theater 4 Kurzgeschichten aus der Sammlung : „Gute Knochen“ von Margret Atwood. Darin schildert die „Grande Dame“ der kanadischen Lite- ratur die abstrusen Welten des Alltags, immer wieder lustvoll auf den Kopf gestellt. Mensch und Tier befinden sich in gemütlicher Nähe zueinander. Snapshots menschlichen Verhaltens, vertreten z.B. durch ein Hühnerkollektiv, Fledermäuse im Krieg, Backrezepte zur Herstellung eines Mannes. Und über allem schwebt die Carmina Burana. TEIL III Theater “BOMBENFRAU“ von Ivana Sajko (Verlag der Autoren FFM) Sajko ist eine Autorin und Regisseurin aus Zagreb, Kroatien. Die Protagonistin des Stückes trägt eine Bombe unter Ihrem Herzen. Die Autorin, auf der Bühne wiederholt präsent, beobachtet und interpretiert die Bombenfrau , ihren unaufhörlichen Spagat zwischen Leben und Tod . Allerlei illustre Personen, Masken des Alltags, bevölkern im fliegenden Wechsel die Szenerie, Agenten, seltsame Götter, sie alle sind Zeugen dieses eindringlichen Geschehens. Mit Jazz, Pop, Rock und Purcell, erhält die Trilogie des Wahnsinns eine weitere eigene musikalische Dimension. Regie (Theater + Film): Helen Körte Komposition (Theater): Martin Lejeune Komposition (Film): Elvira Plenar Film (Kamera / Schnitt): Jörg Langhorst Bühne und Objekte: Wilfried Fiebig Kostüme: Margarete Berghoff Assistenz: Miriam de Leuw Darsteller/Innen: Jens Böke Miriam de Leuw Wilfried Fiebig Willi Forwick Ruth Klapperich Elvira Plenar Verena Specht-Ronique Claudio Vilardo Gesang: Dzuna Kalnina Verena Specht-Ronique Musik: Jens Hunstein Martin Lejeune (Theater) Elvira Plenar (Film) Licht:
„ENSEMBLE 9. NOVEMBER“ www.e9n.de Pressestimmen: Fritz, 5.2011: Trilogie des Wahnsinns Wer bisher Zweifel hegte, ob Theater als Kunst begriffen werden darf, der solle dem Ensemble 9. November im Gallustheater einen Besuch abstatten: Mit ihrer "Trilogie des Wahnsinns auf halber Strecke" präsentieren die Akteure eine abwechslungsreiche Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen, aber auch ganz alltäglichen Problemen, bei der sie sich vielfältiger Kunstformen bedienen; den Auftakt machen zwei skurrile Kurzfilme, gefolgt von vier modernen Kurzgeschichten, bei denen nicht nur Hühner und Fledermäuse das menschliche Tun karikieren. Begleitet werden die Szenen sowohl vom hoch qualitativen Gesang der Schauspieler als auch von den Klängen zweier multitalentierter Musiker. Abgerundet wird der Abend durch das Stück "Bombenfrau", das nach den überwiegend heiteren Vorgängern überraschend nachdenklich die letzten Minuten einer Selbstmordattentäterin beschreibt: Ein wahrlich sinnliches Vergnügen. von Anna Krüger Strandgut 5/2011: Henne auf Abwegen Ein Huhn, das ein Weizenkorn findet: Das ist der gelebte Alltag im Gehege. Es pickt und schluckt und legt sein Ei. Sollte es aber, wie die rote Henne, auf die Idee kommen, unter Freßverzicht seinen Fund anzulegen und am Ende in Brot zu verwandeln, so gerät das Hühnerleben aus dem Hühnertrott und nicht nur die Hackordnung, sondern die gesamte Tierwelt aus den Fugen. Jedenfalls in Margaret Atwoods hahnfreier Parabel und so, wie sie Helen Körte für das Ensemble 9. November im Gallus-Theater projiziert. Die Kurzgeschichte hat die Regisseurin schon in den 90ern in einem abendfüllenden Atwood-Programm gezeigt und als einziges der vier Stücke der Kanadierin unverändert übernommen, weil’s ja auch der absolute Publikumsliebling war. Die Transportrollen, auf denen die Hühner-WG einfährt, ihre Kaffeesack-Kostüme: alles ist von damals. Und alles ist auch wie damals: begeisternd. Eine Perle, für die das E9N einmal mehr sämtliche Kunstregister zieht: von der Livemusik (Martin Lejeune, Jens Hunstein) mit Gesang (Dzuna Kalnina) bis zu Kostümen (Margarete Berghoff) und Ausstattung (Wilfried Fiebig). Die Henne auf Abwegen eröffnet den theatralischen Teil der Stückerevue »Trilogie des Wahnsinns auf halber Strecke«, die der chaplinesk verstummfilmte russische Dadaist Daniil Charms als Vorspann und die Kroatin Ivana Sajko mit der »Bombenfrau« komplettieren. Die letzten zwölf Minuten und 46 Sekunden einer Selbstmordattentäterin im Dialog mit sich und ihrer Schöpferin haben’s buchstäblich in sich. In Gebärmutternähe! Wie aus dieser knappen Restviertelstunde des Lebens eine Stunde wird, das hat am Ende dank des großen Spiels des von Verena Specht-Ronique dominierten Ensembles (Jens Böke, Ruth Klapperich, Claudio Vilardo) keiner gemerkt. Ein wahnwitziger Abend. Termine: 13. und 15. Mai 20 Uhr Strandgut 5/2011 Frankfurter Neue Presse vom 04. April 2011 Von Joachim Schreiner: Mit einer Bombe unterm Herzen Das «Ensemble 9. November» zeigt sein neues Stück «Trilogie des Wahnsinns auf halber Strecke» im Frankfurter Gallus-Theater. Die freie Theatergruppe «E9N» ist bekannt für ihr experimentelles Raumtheater und auch für die ungewöhnliche Verbindung von Film, Theater, Musik, Gesang und Sprache. Diese Mittel gehen auch bei «Trilogie des Wahnsinns» eine gelungene Symbiose ein. Bevorzugt werden dabei Prosatexte für die Bühne bearbeitet. So auch im ersten Teil des Abends, der auf Margaret Atwoods Erzählung «Good Bones», hier als «Gute Knochen» bekannt geworden, zurückgeht. Sechs Darsteller, die sich mitunter auf Rollwägelchen durch den Raum bewegen, setzen Atwoods Themen wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft und in der Literatur mit viel Fantasie um. Der wunderbar ironische, satirische Stil der Kanadierin wird dabei unter Verwendung von Livemusik und gesungenen Passagen aus Orffs berühmter «Carmina Burana» szenisch stimmig umgesetzt. Das sind zum Teil schon kleine Choreografien, die unter der Regie von Helen Körte kunstvoll und auch sinnlich auf die Bühne gebracht werden. Teil zwei der Trilogie ist eine Verfilmung von zwei absurden Kurzgeschichten von Daniil Charms, ein 1905 in St. Petersburg geborener, in der Sowjetunion verfolgter Schriftsteller, der bereits 1942 starb. Der auch dem Dadaismus verpflichtete Dichter, dessen Schriften erst posthum veröffentlicht wurden, erzählt hier von skurrilen Begebenheiten von Menschen, die in einer totalitären Gesellschaft überleben müssen. Der Experimentalfilm mit heiter-ironischem Grundton, mit Schauspielern des Ensembles gedreht, überzeugt in seiner expressiven Sprache und einer suggestiven Bildästhetik. Auch hier gelang Körte eine spannende Arbeit mit einer ganz eigenen, individuellen künstlerischen Handschrift. Eindeutig die Arbeit mit der politischsten Aussage des Abends war Teil drei, die szenische Übersetzung der Erzählung «Bombenfrau» von Ivana Sajko, einer hierzulande kaum bekannten kroatischen Autorin, die ihre Protagonistin eine Bombe unter dem Herz tragen, sozusagen als lebende Zeitbombe durch die Welt gehen lässt. Diverse eigenwillige Personen bevölkern hier im fließenden Wechsel die Szenerie. Eine starke Ensembleleistung prägt auch diese Inszenierung mit sehr originellen Kostümen und Objekten. Ein nachdrücklicher Abend mit Performance-artigem Theater für alle Sinne, umgesetzt von den Schauspielern Jens Böke, Wilfried Fiebig, Willi Forwick, Ruth Klapperich, Verena Specht-Ronique, Claudio Vilardo und den Musikern Martin Lejeune, Elvira Plenar und Jens Hunstein. Joachim Schreiner Frankfurter Rundschau vom 4.4.2011 Von Stefan Michalzik: Heitere Kunst Helen Körte rührt eine ,,Trilogie des Wahnsinns auf halber Strecke"im Gallus-Theater an. Mit der Zeit fragt man sich, wie es sein kann, dass eine solche Fülle von Bildern in einen Theaterabend passt, ohne dass er unter der schieren Last ihrer Menge zusammenbricht. Das FrankfurterEnsemble 9. November, 1988 gegründet von Regisseurin Helen Körte und dem von der Bildenden Kunst kommenden Wilfried Fiebig, hat von Anbeginn aus einer Verbindung von Theater, Musik, Tanz und skulpturalen Objekten opulente Entwürfe geschöpft. Diesmal freilich scheint man sich selber übertreffen zu wollen. Texte dreier Autoren hat Helen Körte zu dem dreistündigen Abend gefügt, der unter demTitel ,,Trilogie des Wahnsinns auf halber Strecke" im Gallus-Theaterher ausgekommen ist.Zu Beginn zeigt eine von vier Kurzgeschichten aus dem Band ,,GuteKnochen" von der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood auf der possierlichen Projektionsfläche eines Hühnerhofs der MenschenGemeinschaft mit all ihren Schrullen, und eine schnittige Damentrias in Trenchcoats - Kostüme: Margarete Berghoff - backt sich einenMann aus Marzipan, Rosinen und anderlei einschlägigen Zutaten. Fürzwei Erzählungen des russischen Schriftstellers Daniil Charms hatKörte die seinen in der Nähe des Futurismus und des Konstruktivismus stehenden absurden Texten gemäße Form einer mehr oder weniger stummen Filmgroteske mit Musik von Elvira Plenar gefunden. Der letzte, der auf die Kroatin Ivana Sajko zurückgehenden Erzählung ,,Bombenfrau" geltende Teil, in dem es um die letzten 12 Minuten und 46 vor dem Tod geht, setzt einenKontrapunkt zu all der vorher gesehenen Narretei, indes auch mitHumor und leichter Hand.So viel der Bilder auch sein mag, steht auf der anderen Seite eineReduktion, etwa was den mit kaum mehr als einigen Metallplatten ausgestatteten Raum anlangt. Das zu einem Gutteil neu besetzteEnsemble - im Kern: Verena Specht-Ronique, die von derKammeroper bekannte, endlich einmal nicht in ein Rollenklischee gezwängte Altistin Dzuna Kalnina, Ruth Klapperich, Jens Böke und Claudio Vilardo - erweist sich als enorm frisch und das multiinstrumentalistisch agierende Duo um den Komponisten und Gitarristen Martin Lejeune und den Akkordeonisten Jens Hunstein changiert musikantisch vom Barock bis zum Rhythm'n'Blues. Die Kunst ist beim Ensemble 9. November noch im klassischen Sinne eine heitere. Nicht ohne Tiefe, aber leichtfüßig. Der Ansatz wirkt so konservativ wie modernistisch. Stefan Michalzik Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.04.2011, Nr. 78, S. 51 Von Eva-Maria Magel: Engelin der Selbstmörder Ensemble 9. November mit einer Trilogie im Gallus Theater "Musiktheater" steht unter der jüngsten Arbeit des Frankfurter Ensembles 9. November. Eine Oper darf man sich darunter nicht vorstellen, eher Theaterszenen und einen Film mit Musik, aber es gibt viel auf die Ohren in der "Trilogie des Wahnsinns auf halber Strecke": Am rechten Rand der Spielfläche im Frankfurter Gallus Theater sitzt der aus vielen theatralischen und musikalischen Kontexten der Stadt bekannte Martin Lejeune an der Gitarre, versiert wie je kommentiert und konterkariert, begleitet und hebt er mit seinen Kompositionen und Arrangements das, was auf der Bühne zu sehen ist, während Jens Hunstein eine staunenswerte Vielfalt von Instrumenten bedient. Nur die Harfe nicht - die bleibt einem der Engel vorbehalten, die auf Rollen dahergleiten. Die Harfe allerdings bleibt stumm, die Engelin, aus der Kategorie der gefallenen Engel, ist die Engelin der Selbstmörder, folglich ist sie wohl weniger gefallen denn gesprungen, und das passt zur "Trilogie des Wahnsinns auf halber Strecke", deren Regie Helen Körte führte. Denn Eros und Thanatos, Liebe und Tod und vor allem das Weibliche sind, wenn man denn danach suchen wollte, die roten Fäden in dem mit drei Stunden sehr reichlich bemessenen Abend. Die ersten beiden Teile, auf der Bühne und im Videofilm, sind ein bunter, oftmals blutrot leuchtender Szenenreigen mit nur losen Zusammenhängen, der als eine Art Literatur-Varieté auf Texten zweier großer Autoren beruht und deren skurrile Geschichten hervorkehrt. Vier Kurzgeschichten von Margret Atwood liegen den Szenen des ersten Teils zugrunde, unter anderem jene berühmten Rezepte zur Herstellung eines Mannes, die Pfefferkuchen der traditionellen Lehm-Form-Methode vorziehen. Zwei von Daniil Charms' skurrilen Geschichten erzählt Körte dann mit dem ganzen großen Ensemble 9. November und seinen Satelliten als Stummfilm-Persiflage mit Musik (Elvira Plenar) im Mittelteil: Das Russland von Charms' verdrehten Figuren, die schwül-reife Erotik des mordenden Damenwäscheschneiders spielen an Schauplätzen in Frankfurt und Umgebung, was komische Kontraste erzeugt. Aus dem bunten Reigen heraus ragt der dritte Teil des Abends, "Bombenfrau", ein Einakter von Ivana Sajko. Der Text, für die Bühne geschrieben, entwickelt an sich schon eine Kraft, der auch so mancher Versuch des Poetisierens und spielerischen Aufbereitens des Ensembles 9. November nicht das Schockhafte, Verstörende, nimmt. Verena Specht-Ronique spielt die junge Selbstmordattentäterin, die mit einer Bombe am, im Leib in einer Menschenmenge auf einen Politiker wartet. Ihr Leben lässt sie in den 12 Minuten und 36 Sekunden Revue passieren, was wiederum eine Gelegenheit für rasch wechselnde Szenen ist und für die Frage, ob diese junge Frau denn wirklich sterben will. Hier kommen, präziser noch dosiert als zu Anfang, die schönen Kostüme (Margarete Berghoff) und vor allem die Objekte und Skulpturen zur Geltung, die Wilfried Fiebig gebaut hat: Ob Engelsflügel aus Pappröhren oder aus Sperrholz gesägte Tierskelette - Fiebigs Bühnenkonstruktion mit einem metallenen Baum für Fledermäuse, seine bizarren Skulpturen und kuriosen Spielobjekte sind als Bindeglied und Symbole eingehender Betrachtung wert. Eva-Maria Magel | |||
WIEDERAUFNAHME: |
„FRAU IM MOND UND ANDERE LIEBHABER“ |
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Fotos: Sabine Lippert Wiederaufnahme Februar 2011 Do. 10.2.2011 20 Uhr Fr. 11.2.2011 20 Uhr Sa. 12.2.2011 Uhr Gallus Theater Gastspiel in Wien März 2011Do. 3.3.2011 20 Uhr Fr. 4.3.2011 20 Uhr Sa. 5.3.2011 20 Uhr KosmosTheater |
Die Inszenierung, unter dem Titel "Frau im Mond + andere Liebhaber", entwirft eine gesamtkünstlerische Interpretation von 4 Erzählungen 4 deutschsprachiger Autorinnen, wobei jede der Erzählungen ihren eigenen Auftritt erhält:
KONZEPTION, DRAMATURGIE, REGIE: Helen Körte KOMPOSITION, MUSIKAL. LEITUNG: Martin Lejeune SCHAUSPIELER/INNEN: Ruth Klapperich, Margie King, Verena Specht-Ronique, Willi Forwick, Claudio Villardo, Fernando Fernandez. MUSIKER: Martin Lejeune, Jens Hunstein, Peter Kölsch BÜHNE, OBJEKTE: Wilfried Fiebig KOSTÜME: Margarete Berghoff FILME: Sebastian Schnabel, Tanja Herzen (HFG) PROJEKTION: Jörg Langhorst, Wilfried Fiebig LICHTDESIGN: Oliver Heyde FOTOGRAPHIE: Sabine Lippert
„ENSEMBLE 9. NOVEMBER“ www.e9n.de | |||