englishE9N - ENSEMBLE 9. NOVEMBER

PREMIERE
Mittwoch 14. Oktober
2015

"Tagebuch eines Wahnsinnigen"
Nach Nikolai Gogol









Fotografie:
Sabine Lippert









Filmstills:
Jörg Langhorst

ALLE
AUFFÜHRUNGEN:


Oktober 2015

PREMIERE: Mittwoch, 14. Oktober 2015, 20 Uhr
Donnerstag, 15. Oktober 2015, 20 Uhr
Freitag, 16. Oktober 2015, 20 Uhr
Samstag, 17. Oktober 2015, 20 Uhr

November 2015

Mittwoch, 4. November 2015, 20 Uhr
Donnerstag, 5. November 2015, 20 Uhr
Freitag, 6. November 2015, 20 Uhr
Samstag , 7. November 2015, 20 Uhr


Gallus Theater
Tel. Reservierungen
069 75 80 60 20
Kleyerstraße 15
60326 Frankfurt
http://www.gallustheater.de






Das Ensemble 9. November bereitet zum Herbst 2015 die musik-theatralische Groteske »Tagebuch eines Wahnsinnigen« nach der Erzählung des russischen Dichters Nikolai Gogol vor. Regie, Konzeption und Dramaturgie von Helen Körte.

Die Dramatisierung des Prosatextes verspricht durch die tragisch-komischen Fantastereien ihres Protagonisten ein wahres Fest, ein literarischer Schmaus voller frivoler auch ironischer Überraschungen zu werden, nicht zuletzt sprechende Hunde, die die Geschichte ad absurdum voran treiben. Den Fantasien des Dichters sind in der Umsetzung der Inszenierung keine Grenzen gesetzt und beweisen sich darin äußerst kompatibel...

Wir sehen eine Reise ins Innere eines Menschen, der, gebeutelt durch die Routine des Beamten-Alltags, eine ständige Achterbahn der Gefühle erlebt, um schließlich in einem Labyrinth voller Zeichen des Wahnsinns angekommen zu sein, wo sich der Held selbst als König von Spanien inthronisiert. Als letzte Konsequenz ruft der, in seinen Wahnverstrickungen Verfallene, in der Irrenanstalt nach seiner Mutter.

Den ursprünglich aus Monologen bestehenden Text entfaltet das Gesamtkunstwerk des „E9N“ in Darstellendem Spiel, Live Musik (Jazz und Klassik), Choreographie, Bildender Kunst und Neuen Medien für alle Sinne.
www.gallustheater.de

Regie, Konzeption, Dramaturgie
Helen Körte

Bühne, Objekte
Dr. Wilfried Fiebig

Schauspiel, Gesang:
Raija Siikavirta
Damaso Mendez
Simone Greiss
Michael Fernbach
Elena Thimmel

Musik / Komposition:
Jens Hunstein
(Klarinette, Flöte, Akkordeon, Percussion usw.)
Uwe Oberg
(Piano)

Licht:
Johannes Schmidt

Projektionen, Grafik:
Joerg Langhorst
Rebekka Waitz (Comic / Animation)

Kostüme:
Margarete Berghoff
Wilfried Fiebig

Assistenz:
Rebekka Waitz

Unterstützt von:
Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main
HfG Offenbach


PRESSESPIEGEL

FAZ vom 16.10.2015:

Wenn ich König von Spanien wär'

Das "Tagebuch eines Wahnsinnigen" im Gallus Theater

Hunde bellen. Auch schnüffeln sie ger ne. Und manchmal heben sie ein Bein und markieren ihr Revier. In Helen Kör tes Inszenierung „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ können die drei bunten Hunde noch viel mehr. Sie sagen „Guten Tag“ oder „Bonjour“, sie singen, sie tanzen, sie telefonieren — und sie ziehen ein rotes Boot durchs Meer, in dem der Beamte Poprischtschin einen Moment lang im Glück vereint ist mit seiner An gebeteten, der Tochter seines Büro Di rektors.
Diese Imagination des Protagonisten und Tagebuchschreibers stellt eine noch milde Form seines zunehmenden Wahn sinns dar. Am Ende wähnt sich der Be amte als König von Spanien und glaubt sich von der Inquisition, die in Wahrheit sein Irrenhaus-Wärter ist, verfolgt. Trotzdem ist das Verrücktsein nicht die schlechteste Lebensform für den von Mi chael Fernbach exzentrisch dargestellten Poprischtschin: Denn etwas Besse res als das beamtete Bleistiftspitzen für seinen Vorgesetzten findet sich überall — selbst in der Anstalt.

Die Erzählung „Aufzeichnungen ei nes Wahnsinnigen“, die der russische Dichter Nikolai Gogol 1835 in Form von Tagebucheintragungen niedergeschrie ben hat, wird im Theater gerne als Ein- Mann-Stück gegeben. Die Regisseurin Körte hat dagegen aus der Vorlage eine Crossover-Produktion mit Dialogen, Monologen, Film, Musik sowie phantas tischen Objekten und Kostüme mit fünf Darstellern gemacht, die immer mal wieder die Rollen wechseln. Damaso Mendez spielt zuerst ganz unschuldig in Chaplin—Manier den Abteilungsleiter in Poprischtschins Büro, dann mit tierischer Begeisterung einen der drei sprechenden und tanzenden Hunde, schließlich den sadistischen Irrenhauswärter. Mit ihm bellen, hecheln und wedeln mit ihrem Hundeschwanz Si mone Greiß und Raija Siikavirta. Elena Thimmel als Angebetete behält ihre Rol le das ganze zweistündige Stück über bei, darf aber immer in noch schönere Kleider und Röcke schlüpfen. Die verschiedenen Phasen von Pop ritschtschins Absturz in das Reich des Wahns bebildert Körte, unterstützt von dem Objekte-Erfinder Wilfried Fiebig und der Kostümbildnerin Margarete Berghoff, in üppiger Weise. In dieser In szenierung wird nicht einfach nur mo nologisiert und grimassiert, hier nehmen der komische Sprachwitz Gogols und die grotesken Imaginationen seines Helden materielle Gestalt an und finden sich in phantastische Bilder über setzt. Wie so oft schon sprudelt die Re gisseurin vor optischen und theatralen Einfällen. Poprischtschin, der Ferdinand II. von Spanien zu sein glaubt, wird von vier Stierkämpfern auf einem rollenden Thron in die Manege gezogen und ficht wie weiland Don Quichote gegen einge bildete Gegner. Die Hunde leuchten bei ihrem Tanz auf wie Figuren des Schwar zen Theaters, wie man es aus Prag kennt. Mit spitzer Narrenmütze auf dem Kopf sitzt der tragische Held unter Irren und ist dort mit seinen Visionen unter den Verrückten das Genie.
Zu diesem Bilderstrom passt die Musik der Zwei-Mann—Begleitung. Der bewährte Jens Hunstein setzt mit Klarinette, Flöte, Akkordeon und Perkussion den Rhythmus und die Kontra punkte, Uwe Oberg, der zum ersten Mal in einer Produktion Körtes und ihres Ensemble 9.November auftritt, grundiert das Ganze. Was für Hunde, diese Theatermacher, würde man in Bayern sagen.
HANS RIEBSAMEN


Frankfurter Rundschau vom 16.10.2015:

Auf den bunten Hund gekommen

Helen Körtes Version von Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ opulent im Frankfurter Gallus-Theater.

Der russische Beamte Poprischtschin ist in seinem „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ überzeugt, „dass die Hunde weitaus klüger als die Menschen sind... und dass sie sprechen können, dass sie es jedoch aus Eigensinn nicht tun“. Diese Annahme aus der 1835 erschienenen, 28-seitigen Novelle des russischen Schriftstellers Nikolai Gogol macht Helen Körte zum Ausgangspunkt in ihrer Inszenierung der Tagebucheinträge.

Während Poprischtschin bei Gogol lediglich den Gesprächen der Hunde bedeutsamer Leute zuhört, tollen auf der Bühne des Gallustheaters drei sprechende Hunde in farbenfrohen Ganzkörperanzügen und Schwänzen, die auch mal als Barhocker fungieren (Objekte: Wilfried Fiebig) ebenso um den immer verrückter werdenden Beamten herum wie der verhasste Abteilungsleiter oder die von ihm angebetete Tochter des Direktors, schön phantasiert und versehen mit Lollipops oder freiem Rücken von Elena Thimmel.

Zwar bleibt die Geschichte die Gleiche. Poprischtschin, hier mit weißem Gesicht und stummfilm-artigen Bewegungen, flüchtet sich aus seinem enttäuschenden Leben in eine Welt, in der er glaubt, spanischer Thronfolger zu sein. Mit dieser Erkenntnis landet er schließlich in der Psychiatrie. Aber die Regisseurin stellt die Fantasien des Wahnsinnigen einfach mit ihm und den realen Figuren auf die Bühne. Zusammen mit seiner Angebeteten darf der Glückliche in einer riesigen roten Gondel mit Rollen über die Bühne fahren, gezogen von den bunten Hunden. Auch seine Inthronsierung spielt das Ensemble 9. November mit roten Kochmützen und selbst gebautem Holzwagen durch. Der Regisseurin gelingt es immer wieder, Anleihen aus dem Text intelligent für die Bühne zu übersetzen. Bei Gogol heißt es: „Sie gießen mir kaltes Wasser auf den Kopf!“ Bei Körte wird Poprischtschin in der Nervenanstalt Opfer eines Untertunkens, das Assoziationen an Waterboarding hervorruft.

Begleitet wird das Spektakel von zwei Musikern am Bühnenrand, Uwe Oberg zum ersten Mal für das Ensemble am Piano, Jens Hunstein bewährt mit unterschiedlichsten Instrumenten, etwa der Klarinette oder dem Akkordeon. Und auch an Videoprojektionen, etwa schwimmende Fische mit Menschenköpfen oder später eine Gemäldecollage des niederländischen Malers Hieronymus Bosch, fehlt es nicht.

Doch trotz vieler kurioser Einfälle und riesiger, absurder Bühnenobjekte hat der knapp zweistündige Abend seine Längen. Obgleich das Leben des Wahnsinnigen in der Nervenanstalt mit einem Aufseher in Lederjacke und schwerer Kette düster gezeichnet ist, zeigt sich doch kein Bruch in seiner Entwicklung. Der Abend ist eine Reise in die Welt von Poprischtschin und der Regisseurin. In dieser Abgeschlossenheit, in der Zeitlosigkeit seiner Ästhetik liegt sein Nachteil ebenso wie sein Vorteil.
Von GRETE GÖTZE

Strandgut, November 2015:

Der Teufel tanzt HipHop

Gallus-Theater: E9N zeigt „Tagebuch eines Wahnsinnigen“

Jubel, Trubel, Traurigkeit : Mit einem opulenten Bilderbogen auf einem reich kolorierten mediterranen Klangteppich bringt das Ensemble 9. November (E9N) in einer eigenen Fassung Nikolaj Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ ins Gallus Theater. Überraschend sind die Raum-, Ton- und Farbeskapaden nicht wirklich, wenn Helen Körtes Regie Musik, Tanz, Pantomime, bildende Kunst, Film und Schauspiel auf der Fiebig-Bühne zum Gesamtwerk aggregiert.
Die 1836 entstandene surreale Groteske um den Titularrat Poprischtschin hat es aber auch in sich. 50 Jahre vor Kafkas Geburt schickt der ukrainisch-russische Schriftsteller die nach Karriere und Liebe dürstenden Sinne des kleinen Beamten auf eine Berg- und Talfahrt, die ihn in elliptischen Kurven aus der Realität befördert. Doch geht jemand wirklich die Realität verloren, wenn er nach Zeichen der Zuneigung suchend, das Hündchen der vergötterten Cheftochter Sophie sprechen hört ? Ist es ein Realitätsverlust, wenn es ihm gelingt, im diffizilen politischen Geflecht der europäischen Mächte die vakante Stelle des spanischen Königs zu besetzen ? Oder gewinnt er nicht viel mehr neue Realitäten?
„Schöne heile Welt“ benennt Körte ihr Einstiegsvideo, das eine helle kleine Parkgesellschaft mit gespielten glücklichen Vierbeinern zeigt, bis ein teuflischer HipHop-Jünger die Harmonie zerstört und eine Garde Cartoon-Snoopys aufmarschiert. So macht uns das Entrée deutlich, daß man nicht alles verstehen muß, was gefällt. In Stummfilm-Schwarzweiß gekleidet fügt sich eine pantomimische Chaplinade des trostlosen Büro-Daseins an, ein städtisches Phänomen der Zeit, das Gogol schon in „Der Mantel“ zur Rampe von Verwirrungen macht.
Michael Fernbach, der den Protagonisten gibt, zeigt an der Seite des sich berückend bewegenden Pantomimen und Tänzer Damaso Mendez als Abteilungsleiter eine beeindruckende Virtuosität. Mit der Sprache und der Farbe erobert auch der süße Wahn des kleinen Mannes die Bühne. Seine Kontakt-versuche mit den bunt dressierten sprechenden Hunden (Simone Greis, Raija Sikhavirta) und der aufreizend schönen Sophie (Elena Thimmel) gipfeln in der romantischen Sequenz eines Gondola-Rendevous, von dem bei Gogol nirgends die Rede ist, was man Körte wie Poprischtschin aber nachsehen muß, so wundervoll präsentiert sich Sophie in den immer wieder neuen bunten Kleidern Margarete Berghoffs. Die Musiker Jens Hunstein und Uwe Oberg intonieren und improvisieren mit einer Vielzahl von Instrumenten das turbulente Geschehen. Reihen sich in den Phasen des Hoffens und Sehnens noch sanfte Chansons und Liebeslieder (J´attendrais, Plaisir d´amour) schmiegsam ein, so ballen sich zu Poprischtschins herrlich bebilderten Königsvisionen die schrägen Weisen zu einer royalen Revue. Von Sirtaki und Flamenco über Hoch auf dem gelben Wagen bis zur alles krönenden Kampfcantate der italienischen Frauenbewegung (La Lega) Hieronymus-Boschs-Bilder und Auszüge des von Gogol inspirierten Menschenfresser-Textes von Lu Xun leiten Poprischtschins alias Ferdinands II käsig beleuchtetes trauriges Ende in der Anstalt ein. In Ketten wähnt er sich der gefolterte Protagonist der Inquisition ausgeliefert an einem betörend schönen Abend.
Winnie Geipert

PREMIERE
Mittwoch 15. April
2015

"RAMEAUS NEFFE AUF BAROCKER WOLKE"
Nach einem Text von Diderot
übersetzt von Goethe
URAUFFÜHRUNG





Foto:
Sabine Lippert











Bilder:
Tarkan Gürsoy

ALLE
AUFFÜHRUNGEN:


April 2015

PREMIERE: Mittwoch, 15. April 2015, 20 Uhr
Donnerstag, 16. April 2015, 20 Uhr
Freitag, 17. April 2015, 20 Uhr
Samstag, 18. April 2015, 20 Uhr

Mai 2015

Mittwoch, 27. Mai 2015, 20 Uhr
Donnerstag, 28. Mai 2015, 20 Uhr
Freitag, 29. Mai 2015, 20 Uhr
Samstag , 30. Mai 2015, 20 Uhr


Gallus Theater
Tel. Reservierungen
069 75 80 60 20
Kleyerstraße 15
60326 Frankfurt
http://www.gallustheater.de






Regie, Konzeption, Dramaturgie
Dr Wilfried Fiebig

Kreative Interventionen
Helen Körte

Michael Fernbach(Schauspiel, Gesang, Klavier)
Janine Karthaus (Schauspiel, Gesang)
Kathrin Maier (Schauspiel, Gesang)
Juliane Fuhrmann (Schauspiel, Gesang)

Gabriele Zimmermann (Gesang)
Bastian Fiebig (Komposition, Gesang)

Johannes Schmidt (Licht)
Joerg Langhorst (Grafik)

Dr. Wilfried Fiebig (Bühne, Objekte, Kostüme)

Unterstützt von:
Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main
HfG Offenbach


PRESSESSPIEGEL

Frankfurter Rundschau vom 16. April 2014:

Räsonieren und gut aussehen dabei
Von JUDITH VON STERNBURG

„Rameaus Neffe auf barocker Wolke“ mit dem Ensemble 9. November in Frankfurts Gallus-Theater ist höchst alert.

Einen philosophischen Dialog in ein Stück sinnliches Theater zu verwandeln, ist nichts für Angsthasen diesseits oder jenseits der Bühne. Nur scheinbar im Widerspruch zum Gehalt des Textes ist vielmehr eine gewisse Unbefangenheit am Platze. Wehe dem Theatermacher, der glaubt, er sei dem Publikum eine Erklärung schuldig. Ein Theaterabend ist kein Seminar (darf aber durchaus von einem solchen besucht und besprochen werden).

„Rameaus Neffe“, mit dem Zusatz „auf barocker Wolke“ dargeboten vom Ensemble 9. November im Frankfurter Gallus Theater, ist sogar ein sehr entspannter, dabei geraffter Gang durch Denis Diderots Text. „Die Sache riecht nach Kunst“, singen spöttisch drei Damen und haben recht, aber die traumversponnene Leichtigkeit geht darüber nicht verloren. Die Frage, was das alles bedeuten soll und ob das gelungen ist, steht ständig quietschfidel im Saal. Das hat damit zu tun, dass „Rameaus Neffe“ als Stück Theater am plastischsten wird, wenn der Nachkömmling des weltberühmten Komponisten – im Dialog gewissermaßen mit Diderot – ins Jammern kommt: Als verkanntes Genie im Schatten des Vorfahren.

Drei hinreißende Damen
Michael Fernbach ist das, mit schneeweißem Gesicht am Flügel und in verschiedenen fabelhaften Aufzügen Wilfried Fiebigs (Regie, Objekte, Kostüme). Die drei hinreißenden Damen, Janine Karthaus, Kathrin Maier und Juliane Fuhrmann, in klimpernden Reifröcken, widersprechen dem Herrn unaufhörlich, necken und umgickeln ihn friedfertig, applaudieren ihm freundlich und schenken seiner Verbitterung nicht mehr Beachtung, als Verbitterung es im Allgemeinen wert ist.

„Rameaus Neffe“ besteht aus atmosphärisch unterschiedlichen Blöcken, sofern dieses Wort nicht schon zu erdenschwer ist, definiert durch die Kostüm- und Objektwechsel. Und die Musik von Bastian Fiebig (mit Gabriele Zimmermann als üppigem Barockopernsopran, während sonst zutiefst heiter und auch mal Brechtisch aus der Lamäng gesungen wird). Sinnlichkeit heißt dabei nicht, schlapp zu werden, im Gegenteil ist das hier höchst alert.

FAZ 18.4.2015:

Metall und Textilien
„Rameaus Neffe auf barocker Wolke“ im Gallus-Theater

Als bildender Künstler hat Wilfried Fiebig eine unleugbare Liebe fürs Barocke. Philosophisch zeichnet er sich durch eine geistige und auch rhetorische Schärfe aus, die ihn mit den großen Aufklärern des 18. Jahrhunderts verbindet. Und natürlich weiß er auch um die Unerbittlichkeit und Heftigkeit, die Zuspitzungen und Zurichtungen eines Denkens, das sich auf sich selbst verlässt. Darum spielt auch die Guillotine als eine von vielen Formen eine Rolle in dem von ihm verantworteten 75-Minuten-Stück „Rameaus Neffe auf barocker Wolke“, ziemlich frei nach Diderot.
In der Produktion des „Ensembles 9. November“, die jetzt im Frankfurter Gallus-Theater Premiere hatte, tritt Michael Fernbach alias Rameaus Neffe dialogisch gegen drei Frauen an, einen kleinen antiken Chor gewissermaßen (Janine Karthaus, Kathrin Maier, Juliane Fuhrmann). Kostüme, Bühneninstallationen, Sprache und Musik vereinen sich zu einem bewegten Tableau, das atmosphärisch einen Denkraum und eine Epoche aufleben lässt, die zwischen Barock und Aufklärung, zwischen üppiger Ausstattung und rationalistischer Weltdeutung changiert.
Rameaus Neffe, der Künstler, der sich für genial, aber verkannt hält, von der Gesellschaft abhängig ist, die er verachtet, verkörpert pantomimisch und mit Maske das zugleich zynische wie verzweifelte Selbstbewusstsein der ästhetischen Moderne. Das Streben nach Autonomie zerschellt an den politischen und sozialen Mächten. Alle möglichen Gestalten werden zitiert, der König, die Mätresse, der Finanzier, der Minister, der Bettler, repräsentiertvon Hüllen ‘aus Textilien und Metall. Sie alle werden im wahrsten Sinn des Wortes auf die Müllhalde derGeschichte geworfen. Diese‘ Inszenierung lässt sich kaum als theatrales Ereignis begreifen, sie ist vielmehr eine Performance mit dramatischen Effekten. Künstlerische Objekte werden in Bewegung versetzt und mit Musik, komponiert von Bastian Fiebig, in Verbindung gebracht, und auch die Sprache gewinnt hier musikalische Qualität. Michael Fernbach spielt auch hervorragend Klavier, was den realen Darsteller mit der fiktiven Figur verbindet. Rameaus Neffe ist schließlich ein virtuoser Pianist und Geiger. Die Kunst bleibt, auch wenn der ‘Künstler nichts zählt. zer.

FNP 18.4.2015:

Vor den Terrorjahren

Das Frankfurter „Ensemble 9. November“ brachte unter der Regie Wilfried Fiebigs am Gallus-Theater „Rameaus Neffe auf barocker Wolke“ nach Denis Diderot heraus.

Eins leistet die Inszenierung (Konzept, Ausstattung, Regie: Wilfried Fiebig, Musik: Bastian Fiebig„kreative Interventionen“: Helen Körte) allemal. Sie schenkt der Bühne eine ureigene Gestalt des Erzähldialogs des französischen Aufklärers Denis Diderot (1713-1784), der als Text zwischen platonischem Dialog um die Frage nach der Wahrheit ‚und der Frivolität der Pariser Boheme steht.
Im Zugriff des „Ensembles 9. November“, mit Bühnenkräften der Offenbacher Hochschule für Gestaltung und Neigung zu Musical und Soul, wird „Rameaus Neffe“ zur „barocken Wolke“: Fiebig macht aus dem Text eine Show, die seiner Wiener Herkunft gemäß ans alte Singspiel erinnert.
Alles findet vor einer Guillotine statt: ein Anachronismus, Nur wir nennen mit historischem Blick ja alles vor 1789 „vor"-revolutionär, während Diderot von der Französischen Revolution‘ nichts wissen konnte, so sehr sie ihn dann für sich reklamierte. Bei den Kostümen des Atelierkünstlers Fiebig herrscht der Bezug auf Konstruktivismus vor, vielleicht verspielter als gewohnt. Den Neffen und verkrachten Musiker, diesen Parasiten, der sich für ein verkanntes Genie hält, macht Fiebig zum klimpernden Pantomimen in Blutrot und Barett (Michael Fernbach), den intellektuellen Gesprächspartner „Diderot“ spart er als Figur aus oder verteilt ihn aufs Rest-Personal: Die singenden Actricen Juliana Fuhrmann‚]anine Karthaus und Kathrin Maier mit geweißten ‚und geschwärzten Gesichtern, in weißen, weißgoldenen, schwarzen Kostümen. Gabriele Zimmermann als klassisch ausgebildete Sprecherin (aus dem Off und auffahrende Objekte komplettieren das Konzept. Die Gegenstände, aus Gestellen und Kissen gefertigt, stehen für Stände und Schichten und landen, in Erwartung des Autodafés der Terrorjahre, auf einem Haufen vorm Schafott.
Weidlicher Gebrauch von Spiegeln deutet den intellektuellen Narzissmus. der Zeit an. Man sollte den Text kennen (das Spiel erzählt nicht, es reflektiert) um besser verstehen zu können.
Dennoch: hübsch gemacht. dek

FNP 15.4.2015:

Der Wunsch, ein anderer zu sein

15.04.2015 Der Theaterregisseur Wilfried Fiebig vom Ensemble 9. November inszeniert mit „Rameaus Neffe auf barocker Wolke“ ein Stück, bei dem klassisches Theater mit Bildender Kunst, Musik und Gesang verbunden wird. Premiere ist heute Abend im Gallus Theater.

Gallus. Gut 13 Jahre lang schrieb der französische Schriftsteller und Philosoph Denis Diderot (1713 – 1784) an dem Werk „Rameaus Neffe“. Obwohl es zu Lebzeiten des Autors nicht veröffentlicht wurde, entwickelte es sich, nicht zuletzt dank Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832), der es Anfang des 19. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzte, zu einem unter Philosophen und Literaten stark beachteten und vieldiskutierten Werk.
Der Theaterregisseur Wilfried Fiebig vom Ensemble 9. November inszeniert mit „Rameaus Neffe auf barocker Wolke“ nun ein Stück, das auf dem Text von Diderot in der Übersetzung von Goethe basiert. Heute Abend feiert es um 20 Uhr Premiere im Gallus Theater in der Kleyerstraße 15.
Neidgefühle

In seinem Werk blickt Diderot auf die Pariser Gesellschaft, wie diese vor der französischen Revolution bestand, die im Jahr 1789 ihre Anfänge nahm und vom Schriftsteller selbst nicht mehr miterlebt wurde. Rameaus Neffe ist musikalisch begabt, unterhaltend und auch wortgewandt, steht dennoch aber nur im Schatten seines berühmten Onkels. Dieser ist gesellschaftlich akzeptiert, sein Neffe indes träumt hiervon. Die Furcht nur Mittelmaß zu sein verfolgt ihn. Er entwickelt Neidgefühle gegenüber dem Onkel und allen Männern, die erfolgreich sind.
„Jeder sagt, dass er zufrieden sei, möchte in Wirklichkeit aber jemand anderes sein“, sagt Fiebig. „So ist es bis heute. Das Werk von Diderot ist immer noch zeitgemäß.“ Die Gesellschaft habe damals in einer Zeit gelebt, in der alles durcheinander gewesen sei, nicht anders als heute, nur dass der Blick aktuell auf globaler Ebene liege. Diderots „Rameaus Neffe“ beschreibe zudem die gegenseitige Abhängigkeit aller Teile einer Gesellschaft.
Fiebig lässt Rameaus Neffen, gespielt von Michael Fernbach, in seiner Inszenierung in einen Dialog treten mit drei Damen der französischen Gesellschaft der vorrevolutionären Zeit, dargestellt von Janine Karthaus, Kathrin Maier und Juliane Fuhrmann. Der Theaterregisseur, der zudem promovierter Philosoph und Bildender Künstler ist und 1940 in Berlin geboren wurde, war über 30 Jahre lang an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach tätig. Er hat sein Atelier im Frankfurter Ostend am Ostpark. Dort sind auch die Kostüme entstanden, die die Darsteller tragen und diese zu lebenden Skulpturen werden lassen – Bildende Kunst wird Teil der Inszenierung.
Das Ensemble 9. November wurde 1988 von Fiebig und Helen Körte initiiert. Anlass war die bundesweite Gedenkfeier zum fünfzigsten Jahrestag der Novemberpogrome. Die Künstlerinitiative unter Leitung der beiden inszenierte als erstes damals „Szenen eines Kulturvolkes“. Es erzählt von dem Mädchenorchester in Auschwitz.
Seit diesen Anfängen hat das Ensemble 9. November, das, bis auf die Initiatoren, stets wechselnde Akteure hat, eine Vielzahl an Inszenierungen auf die Bühne gebracht. Die Arbeit verfolgte stets das Konzept des Gesamtkunstwerkes, der durch einen interdisziplinären Ansatz realisiert wird – nämlich die Verbindung zwischen klassischem Theater, Musik, Gesang und Bildender Kunst.
Lieder vom Sohn

Auch in der aktuellen Aufführung werden diese Disziplinen miteinander verbunden. Nicht nur die Darsteller singen oder spielen Klavier. Der Gesang der Mezzosopranistin Gabriele Zimmermann erklingt in den Raum hinein, ohne dass diese für den Zuschauer zu sehen ist. Die Lieder basieren auf den Kompositionen des Musikers Bastian Fiebig, dem Sohn von Wilfried Fiebig.

Strandgut Kulturmagazin 05/2015:

Buster Keaton auf der barocken Wolke
Gallus-Theater:
E9N macht »Rameaus Neffe« zum Gesamtkunstwerk

Eigentlich ist es ein philosophischer Diskurs in Dialogform, den der Aufklärer Denis Diderot mit dem als Mensch und Musiker gescheitertem und verkanntem Neffen des erfolgreichen Komponisten Jean Philippe Rameau führt. Goethe hat den Text übersetzt, der aus Russland in seine Hände kam. Was für eine Herausforderung für den Theatermenschen und Philosophieprofessor Wilfried Fiebig, diese doch sehr anspruchsvollen Gedanken über die Un-Ordnung der vorrevolutionären Welt und Gesellschaft des 18. Jahrhunderts auf die Bühne zu bringen: in Bildern, Tönen und Bewegung, Tanz, Gesang, Musik und Licht!. Schon das allererste Bild verweist auf den widersprüchlichen Charakter des Protagonisten Rameau (Michael Fernbach). Er malträtiert die Tastatur des bereitstehenden Flügels und entlockt ihm doch gleich darauf zärtliche fast mozartige liebliche Töne: das musikalische Thema ist gesetzt, »Oh Rameau« tönt es aus dem Hintergrund. Auf der schachbrettartigen Bühnenfläche erscheinen schwarz-, rosa- und weißgesichtig drei Damen, die ihn von nun an aufs Lieblichste begleiten, kommentieren, ergänzen, spiegeln (wörtlich), umtanzen und besingen (Musik: Bastian Fiebig). Zunächst noch in fiebig’scher Manier mit den Reifröcken der alten Zeit beschwert, werden sie diese in der zweiten Hälfte ablegen und zu natürlicher Bewegung finden. Ist Rameau anfänglich in das Gelb des Neides gezwängt, so wechselt er danach in das blutige Rot der Jakobiner – auch die Guillotine steht schon bereit – in herrschaftlich-königlichen Putz, in die geheimnisvolle Maske des doppelgesichtigen Spiegel-MosaikMenschen. Wer den hochphilosophischen Teilen des Diskurses nicht kontinuierlich folgen mag, sollte sich ungeniert den mit Witz und Ironie aufbereiteten Kabinettstückchen aus Gassenhauern, Tanz, Farbe und Hintergrundgesang (hervorragend: Gabriele Zimmermann) einfach hingeben. Besonders amüsant auf zweischneidige Weise, wenn die Vertreter der Stände, obskure Figuren aller Art, vor der Guillotine aufgehäuft werden. Aber auch wo der abstrakte philosophische Diskurs verlassen wird, greift die »kreative Intervention« (Helen Körte) von glänzend aufeinander abgestimmter Pantomine und Gesang der drei Grazien Janine Karthaus, Kathrin Maier und Juliane Fuhrmann. Sie verlocken Michael Fernbach nicht nur als Rameau zu mimetischen Großleistungen, die an Buster Keaton erinnern. Schön auch, dass hin und wieder Bekanntes aufleuchtet, das Blaue Klavier der Else Lasker-Schüler etwa, oder die Rose der Gertrude Stein. Textkenntnis oder aber auch die Lektüre des Programmheftes erleichtern das intellektuelle Verstehen, das wie erwähnt nicht unbedingt notwendig ist, um den »schiefrunden« (barock aus dem Portugiesischen) Bilderbogen zu genießen. Mit der Konsequenz, zum Schluss immer derselbe unleidliche Mensch zu bleiben, und dies »Unglück noch 40 Jahre zu genießen«, wie uns Rameaus Neffe am Ende empfiehlt.

Katrin Swoboda



Bild:
Wilfried Fiebig